Mit dem kurzen Videoclip, der gerade eingespielt wurde, haben wir Sie mitgenommen in das Jahr 1989. Auch wenn sich in den letzten 30 Jahren Musikgeschmack und Mode geändert haben, Gott sei Dank möchte ich sagen, gibt es heute dennoch Parallelen zu damals. Immer noch begeistert sich die jüngere Generation für ein freies, friedliches und vereintes Europa. Unser Juso-Vorsitzender Leon Kozica wird im nächsten Grußwort dazu sprechen. Auch die Notwendigkeit große Themen, wie den Umweltschutz und Klimawandel, als Staatengemeinschaft anzugehen, ist heute genau so wichtig wie damals. Denn die Liste an Herausforderungen wächst - enthemmter globaler Kapitalismus, weltweites Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich und den damit verbundenen Migrationsdruck auf Europa, Wegfall des Bündnispartners Amerika, und internationaler Terrorismus.
Niemand der klar denken kann, wird ernsthaft argumentieren, dass ein einzelnes Land diese Aufgaben alleine stemmen kann. Doch auf die Herausforderungen und Chancen wird unser Festredner Markus Rinderspacher ausführlicher eingehen.
Angesichts der skizzierten Aufgabenstellungen wird die Europawahl in diesem Jahr die Entscheidung zwischen denen, die diese Herausforderungen anpacken und denen, die Probleme nutzen, um vorhandene Ängste der Menschen zu instrumentalisieren. Die Gewinne der Populisten hierzulande und europaweit sind ein Alarmsignal. Zwar verfolgen die Populisten keine gemeinsame Strategie, dafür sind die nationalistischen Ziele zu widersprüchlich, doch sie bedienen konfuse Gefühle – die Angst vor Kontrollverlust, die Wut über die Vorgaben aus Brüssel, der Argwohn gegenüber anderen Mitgliedsstaaten. Diese Angst und Wut ist auch das Erfolgsrezept der deutschen Populisten.
In ihrem Buch AfD – Angst für Deutschland – beschreibt Melanie Amann den Aufstieg der Alternative. Gegründet als eurokritische Professoren-Partei ist sie mittlerweile zur rechtspopulistischen Pöbel-Partei verkommen. Da diese Entwicklung schrittweise passierte, ist die Anhängerschaft weitestgehend gleich geblieben. Denn wer zu Zeiten der Eurokrise Angst um seine Ersparnisse hatte, wird in der Asylkrise auch Angst vor der gefühlten Übermacht der Fremden haben. Und weil diese Ängste in allen Bevölkerungsschichten zu finden sind, besteht die Partei und Anhängerschaft eben nicht nur aus rechtsradikalen Hooligans. Auch wenn völlig klar ist, dass die Parteiführung keine Berührungsängste mit Rechtsradikalen hat und der gemäßigtere Teil der Partei diesem Treiben wohlwollend zusieht.
Der Aufstieg der AfD zeigt stellvertretend, dass es den demokratischen Parteien in Deutschland und Europa bisher nicht gelungen ist, eine wirksame Strategie gegen Populismus zu entwickeln. Während die Grünen in der Auseinandersetzung mit Populisten auf totale Verweigerung setzen, wie auch Teile meiner Partei, versuchte die CSU insbesondere beim Thema Asyl eher den Kopiermodus. Beides wird auf Dauer zu keinem Erfolg führen.
Zusätzlich befeuern Politiker unbewusst Populisten, wenn beispielsweise europäische Fördergelder als gute Tat der eigenen Partei verkauft werden, aber selbstverschuldete Fehlentscheidungen als Politik aus Brüssel abgestempelt werden. Lassen Sie mich dazu ein Beispiel anführen.
Kennen Sie die EU-Richtlinie (2004/22/EG)? Wahrscheinlich nicht. Es handelt sich hierbei um die Richtlinie für Messgeräte. Sie besagt u. a., dass bei durchsichtigen Trinkgefäßen durch ein Strichmaß festgestellt werden kann, dass der Wirt nicht zu wenig ausgeschenkt hat. Soweit, so sinnvoll. Im bürokratischen Übereifer schloss der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie auch Tonkrüge ins Gesetz mit ein. Da aber bei Krügen das Strichmaß durch den Bierschaum verdeckt wird, kann nicht klar abgelesen werden, wie viel Bier sich im Tonkrug befindet. Folglich mussten alle Tonkrüge mit der Aufschrift „nicht für schäumende Getränke zu verwenden“ versehen werden. Also wurde quasi der Ausschank von Bier in Tonkrügen untersagt. Auch wenn diese Entscheidung in deutschen und bayerischen Ministerien gefällt wurde, richtete sich die Empörung gegen die Brüsseler Bürokratie.
Zusammengefasst soll das Beispiel zeigen, dass in Politik und öffentlicher Wahrnehmung die EU öfter mit negativ besetzten Themen verknüpft als mit guten Nachrichten. Eine hervorragende Ausgangslage für Populisten.
Europa verheddert sich zu oft, und auch das zeigt das Beispiel, in Detailfragen. Für die Zukunft braucht es eine Vision für Europa, die die Menschen mehr in den Mittelpunkt stellt und einbindet.
Dazu ist u. a. die Stärkung des Parlaments als die direkt gewählte Vertretung des Volkes notwendig. Die Europaabgeordneten, insbesondere unsere Maria Noichl, leisten in der Mehrheit sehr gute Arbeit, auch weil sie die Anliegen der Menschen auf europäischer Ebene vertreten.
Gregor Gysi hat in einer Rede 1998 im Bundestag gesagt, dass sich Europa nicht über ein Währungssystem einen könne. Dem möchte ich zustimmen. Ein gemeinsames Währungs- und Wirtschaftssystem bringen zweifellos ökonomische Vorteile, aber die Herzen der Menschen erreicht es eben nicht. Wenn Europa für uns Zusammenhalt und Freiheit bedeuten soll, braucht es auch ein soziales Europa mit sozialen Standards.
Erste Schritte wären eine europaweite Arbeitslosenversicherung und ein europäischer Mindestlohn, der sich an den Gegebenheiten der einzelnen Länder orientiert. Gerade auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land würde dies Vorteile bringen, da sie dann nicht mehr so stark im europäischen Dumpingwettbewerb auf dem Arbeitsmarkt stünden. Darum sollten wir nicht nur über die Sicherheit an den Außengrenzen reden, sondern auch über soziale Sicherungssysteme auf Europaebene. Die Forderung von Hans-Jochen Vogel aus dem Wahlspot gilt also immer noch: „Das Europa von morgen muss ein Raum von sozialer Gerechtigkeit sein.“
Das ist unser Ziel und Antrieb als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Ziele, die sich weder mit Populisten und schwerlich mit einer Partei, die Victor Orban in ihren Reihen hat, umsetzen lassen. Ganz im Gegenteil: Populisten wollen Europa lähmen und zurück zur Kleinstaaterei. Dass dies oft ihr einziger Antrieb ist, zeigt der Brexit ganz deutlich. Vor dem Referendum malte UKIP das Bild eines starken Empires ohne Europa in den goldensten Farben, nach dem Referendum ist von den einstigen Anführern nichts mehr zu sehen und England tief gespalten und verunsichert.
Bei der Europawahl steht unser Kontinent vor der Frage, ob wir der Angstmacherei der Populisten nachgeben, oder mutig Europa weiterentwickeln. Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist, dass wir nicht weniger, sondern mehr Europa brachen – mehr soziales Europa. Und ich hoffe, dass sich viele dieser Meinung anschließen werden.